Die Domschule – Vorgängerin des Mariano-Josephinum
Die Hildesheimer Domschule war eine der bedeutendsten Bildungsstätten im ottonischen und salischen Reich. Sie entstand 815, dem Gründungsjahr des Bistums.
Seinerzeit galt der Erlass „Constitutio de scholis per singular episcopia et monasteria instituendis“ des Kaisers Karl des Großen aus dem Jahre 787, wonach jedes Domstift und jede Abtei auch eine Schule einzurichten habe. Heute heißt sie Gymnasium Mariano-Josephinum.
Ursprünglich war die Hildesheimer Domschule im Kreuzgang des Doms beheimatet – die jüngeren Schüler wurden im nördlichen Bereich unterrichtet, die älteren im oberen Stockwerk des östlichen Kreuzgangs. Unterrichtsräume wie in heutiger Zeit gab es damals noch nicht.
Die Domschule folgte über Jahrhunderte dem karolingischen Lehrplan: Rechnen, Schreiben, Lesen und Gesang wurde den Schülern in der Elementarschule vermittelt, die besonders begabten Schüler konnten dann mit etwa zehn Jahren in die höhere Schule eintreten. In der Unterstufe erfolgte vor allem die Einführung in die lateinische Sprache, in der Oberstufe wurde dann auch Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik unterrichtet. Im Alter von 15 Jahren konnten die Schüler dann ihre Ausbildung fortsetzen – entweder mit theologischen Studien oder mit einem Studium der allgemeinen Wissenschaften.
Unter den Ottonen entwickelte sich die Domschule zur zentralen Ausbildungsstätte des frühen deutschen Reiches, diese Bedeutung behielt sie auch noch unter den Saliern - allein 30 Reichsbischöfe (darunter zehn Erzbischöfe) sind in diesen Jahren aus der der Hildesheimer Domschule hervor gegangen. Von 1140 an sind Absolventen der Domschule auch als Theologiestudenten in Paris nachweisbar. Drei ehemalige Domschüler wurden sogar heiliggesprochen: Bischof Bernward von Hildesheim († 1022), Hl. Kaiser Heinrich II. († 1024) und Hl. Bischof Benno von Meißen († 1106). Eine Seligsprechung wurde zwei ehemaligen Domschüleren zuteil, nämlich Bischof Benno von Osnabrück († 1088) und Bischof Bernhard von Hildesheim († 1153).
Im 14. Jahrhundert begann die Entwicklung der Schule allerdings zu stagnieren – eine Entwicklung, die fast über drei Jahrhunderte anhielt. Der sächsische Adel, der seinen Nachwuchs an der Domschule in Hildesheim hatte ausbilden lassen, war politisch bedeutungslos geworden, das politische Zentrum des Reiches hatte sich nach Süden hin verlagert. Wie in anderen Städten auch, hatte sich in Hildesheim ein selbstbewusstes städtisches Bürgertum entwickelt, das mehr Laienbildung forderte, anstelle gehobener Kirchenbildung. Im 13. Jahrhundert wurde daher von der Stadt eine Alternative zur Domschule geschaffen: Die Schule am Andreasstift wurde gegründet.
Die Reformation erreichte Hildesheim: 1542 führte die Stadt das lutherische Glaubensbekenntnis ein, nur wenige Katholiken verblieben innerhalb der Stadtmauern und in den Stiftsdörfern. Mit der Ernennung des bayrischen Herzogs Ernst II. zum Fürstbischof von Hildesheim konnte allerdings der Fortbestand des Bistums gesichert werden. Die politisch mächtigen katholischen Wittelsbacher prägten für die folgenden gut 200 Jahre das Bistum – sie holten auch im Jahr 1587 mit Pater Johannes Hammer den ersten Jesuiten als Prediger an die Antoniuskapelle.
Den Jesuiten wurde später durch die Urkunden von Fürstbischof Ernst II. und Kaiser Rudolf II. auch die Domschule übereignet: Am 3. April 1595 konnte der Jesuitenpater 60 Schüler aus der alten Domschule in das neu gegründete Gymnasium Josephinum überführen, die Domschule blieb als Elementarschule erhalten. Ein eigenes Schulgebäude gab es allerdings noch nicht, unterrichtet wurde im Dachgeschoss der Antoniuskapelle – das allerdings mit wachsendem Erfolg. In ganz Norddeutschland sprach sich – auch in protestantischen Kreisen – die hohe Qualität des Unterrichts am Josephinum herum. Im Jahr 1615 besuchten daher schon mehr als 300 Schüler das Josephinum, das zu diesem Zeitpunkt nun auch ein eigenes Schulgebäude erhalten hatte. Dieses stand bereits damals an der gleichen Stelle wie das heutige Josephinum.
Einen Rückschlag musste die Schule 1634 hinnehmen, als Braunschweiger Truppen Hildesheim besetzt hatten. Die Jesuiten mussten Stadt und Schule verlassen. Als sie 1643 wieder zurückkehren konnten, fanden sie das Schulgebäude weitgehend verwüstet vor. Sie machten sich an die Aufräumarbeiten und begannen bereits währenddessen, den Schulbetrieb wieder aufzunehmen. Zudem bemühten sie sich um den Rückkauf der gestohlenen Bibliothek, die noch heute besteht.
1773 wurde der Jesuitenorden durch Papst Clemens XIV. aufgehoben, die Jesuiten verloren folglich auch die Hildesheimer Schule. Viele frühere Jesuiten konnten allerdings weiterhin an der Schule tätig sein. Das Josephinum hieß von nun an allerdings „Fürstbischöfliches Gymnasium“, von 1803 an „Bischöfliches Gymnasium“.
In den folgenden Jahrzehnten stiegen die Schülerzahlen kontinuierlich an, Schüler aus ganz Deutschland besuchten das Gymnasium, einige kamen eigens aus Übersee. Unter den Schülern befanden sich fast der gesamte spätere Diözesanklerus sowie die Hildesheimer Bischöfe von Godehard Osthaus (1829-1835) bis Joseph Godehard Machens (1934-1956).
Mehrfach wurde in den Jahren zwischen 1803 und 1813 versucht, das Josephinum zu enteignen. Die Stadt Hildesheim, die Preußische Regierung, die Hannoversche Regierung und das napoleonische Königreich Westfalen versuchten, das Gymnasium zu übernehmen. Doch scheiterten alle an dem Schulleiter Franz Xaver Lüsken, der sich mutig für die Eigenständigkeit des Josphinums einsetzte.
Mehr als 100 Jahre später sollte die Schule dann allerdings doch ihre Eigenständigkeit verlieren: Den Nationalsozialisten war das Gymnasium Josephinum ein Dorn im Auge. Zum 1. April 1937 degradierten sie die Schule daher zu einer achtjährigen "Stiftischen Oberschule für Jungen". Vorerst blieb das Josephinum zwar noch die Schule des Bischofs von Hildesheim, doch zum 1. September 1942 wurde das Josephinum zur "Städtischen Oberschule für Jungen" erklärt. Das Bistum musste auf Druck hin am 10. November 1942 einen Enteignungsvertrag unterzeichnen. Mit ihm wurden dem Bischof auf 25 Jahre die Schulgebäude und das Mitspracherecht im Josephinum genommen. Mitte Juni 1943 wurde die Schule dann an die Stadt übergeben. Zum 1. Juli des Jahres wurde mit Joseph Clausing der letzte geistliche Schulleiter zwangsweise in Pension entlassen – damit endete eine 1128 Jahre alte Tradition. Mit Clausing verließen auch drei weitere geistliche Studienräte die Schule, sie wurden – ebenso wie weitere andere Lehrer – durch solche ersetzt, die der NSDAP nahe standen. Im September des Jahres wurde der Nationalsozialist Otto Alms Leiter der Schule.
Kreuze durften zwar weiterhin in den Klassenräumen des Josephinums verbleiben, auch Religionsunterricht wurde noch erteilt. Doch davon abgesehen veränderte sich der Schulalltag einschneidend. Immer mehr Lehrer und Schüler des Josephinums wurden als Soldaten oder Flackhelfer eingezogen, 396 von ihnen verloren dabei ihr Leben. Unterricht fand nur noch an zwei Wochentagen statt, in der Aula wurde zeitweise ein behelfsmäßiges Lazarett eingerichtet, der Keller der Schule wurde als Luftschutzkeller genutzt.
Am 22. März 1945 trafen Bomben das Gymnasium. Die Gebäude der Schule wurden zerstört, allein das 1695 errichtete Barockportal blieb weitgehend unversehrt. Noch heute steht dieser Gebäudeteil vor der inzwischen wiedererrichteten Schule.
Nach Kriegsende kehrten die verbliebenen Lehrer und Schüler an das Josephinum zurück und begannen mit Aufräumarbeiten. Am 15. Oktober 1945 wurden wieder 207 Schüler der unteren Klassen unterrichtet, zum 1. Dezember folgten die oberen Klassen mit 201 weiteren Schülern. Die 14 Klassen wurden allerdings auf drei halbwegs intakte Räume im Stadtgebiet verteilt, da die notdürftig hergerichteten Räumlichkeiten in der Ruine des Josephinums nicht für Unterricht im Winter geeignet waren.
Über gut zwei Jahrzehnte blieb das Josephinum allerdings auch nach dem Krieg noch reguläres städtisches Gymnasium. Zwar gab es bereits sofort nach Kriegsende Bemühungen, das Josephinum zurück zu erlangen. Doch die Stadt fühlte sich nicht zuständig, zumal der Bischof auch eine vollständige Wiederherstellung verlangte. Erst das Konkordat vom 26. Februar 1965 änderte die Situation. Das Land Niedersachsen und der Heilige Stuhl vereinbarten die in Deutschland einmalige Verfassung des Josephinums als öffentliche Schule in kirchlicher Trägerschaft. Das Josephinum blieb zwar ein städtisches Gymnasium, allerdings wurden dem Bischof von Hildesheim alle Rechte und Pflichten des Schulträgers zuerkannt.
Erst zwei Jahren später war der Schulraum für die mittlerweile 1000 Schüler am alten Ort wieder vollständig hergestellt. Der Unterricht konnte allerdings schon in den 1940er Jahren wieder vollständig erteilt werden, zwischen 1946 und 1949 waren die Räume im Kapitelhaus und im Domhofflügel mit Spendengeldern ehemaliger Schüler vorläufig wiederhergestellt worden.
Einschneidende Veränderungen kamen auf das Josephinum mit dem geänderten Niedersächsischen Schulgesetz im Jahr 1974 zu. Es wurde ein Realschulzweig eingerichtet, 1979 erreichte das Josephinum seinen bisherigen Höchstand an Schülern – 1500 Jungen und Mädchen wurden seinerzeit an der Schule unterrichtet. 1980 gingen allerdings die Eingangsklassen an die neue Orientierungsstufe verloren, im Jahr darauf wurde der Realschulzweig der Hauptschule St. Augustinus zugeordnet. So fiel der Schülerbestand schnell auf nur noch 650.
Zwar durfte sich das Josphinum weiterhin als „christliche Schule“ bezeichnen, das Kultusministerium versagte der Schule allerdings einen darüber hinausgehenden Sonderstatus gegenüber anderen öffentlichen Schulen. Bischof Josef Homeyer sah in diesen und weiteren Veränderungen der Schulgesetzgebung einen Eingriff in seine garantierten Rechte. Er strengte daher Verhandlungen mit dem Land Niedersachsen an. Zum 8. Mai 1989 erreichte er damit eine Novellierung des Konkordats von 1965. So lautet der Status des Josephinums seit dem 1. August 1989 wieder „Bischöfliches Gymnasium Josephinum – staatlich anerkanntes Gymnasium des Bistums Hildesheim", wodurch der bis 1942 geltende Rechtsstatus wiederhergestellt wurde. Zum 1. August 2022 fusionierte das Josephinum mit dem Gymnasium Marienschule zum Gymnasium Mariano-Josephinum.
Da sich das heutige Gymnasium Mariano-Josephinum aus der alten Domschule entwickelt hat, ist es so gesehen die älteste, ununterbrochen bestehende Schule der Welt in kirchlicher Trägerschaft.
basierend auf der Schulgeschichte des Bischöflichen Gymnasiums Josephinum.