Spektakuläre Grabungsfunde im Hildesheimer Dom
Bei archäologischen Grabungen während der Hildesheimer Domsanierung stießen die Forscher auf überraschende Funde und konnten lang gehegte Thesen belegen.
Die tiefgreifende Sanierung und Umgestaltung des Hildesheimer Doms gab auch den Archäologen um den Leiter der Kirchlichen Denkmalpflege und Diözesankonservator (bis 2013), Professor Dr. Karl Bernhard Kruse, sowie Grabungsleiter Dr. Helmut Brandorff Gelegenheit zu umfassenden Ausgrabungen und Forschungen. Dabei stießen die Entdecker auf überraschende Funde, sie konnten aber auch lang gehegte Thesen belegen. Bereits kurz nach der Schließung des Gotteshauses machten die Archäologen den ersten spektakulären Fund: Im April 2010 legten sie im Ostchor die ältesten Mauern des Hildesheimer MarienDoms frei. Die Fundamentreste führten sie 1200 Jahre zurück in die Zeit, als sich hier die ersten Christen des Sachsenlandes zu ihren Gottesdiensten versammelten. Und auch wenn die Steine aus der Zeit von Kaiser Ludwig dem Frommen stammen, dem die Gründung des Bistums Hildesheim zugeschrieben wird, so haben die Forscher mit ihren Funden diese Gründungslegende doch ein Stück weit erschüttert. Denn sie fanden auch Keramikreste, die deutlich älter waren. Der Ort war also schon besiedelt, als Ludwig kam. Doch die Treue zur Gründungslegende, die einfach zur Geschichte des Bistums Hildesheim gehört, und die Vorfreude auf das 1200-jährige Bistumsjubiläum konnten die Erkenntnisse nicht nachhaltig trüben. Schließlich sind die Funde kein Beweis gegen die Überlieferung, dass der Sohn Kaiser Karls des Großen genau an dieser Stelle nach einem einschneidenden Erlebnis und einem Rosenwunder sein neues Bistum gegründet hat und die lange Geschichte des Bistums Hildesheim damit ihren Anfang nahm.
Archäologen entdecken Reste des Gunthar-Doms
Im Herbst 2010 fanden die Forscher dann im ausgeschachteten Hildesheimer Dom rund 40 Gräber aus dem neunten Jahrhundert. Drei Skelette konnten vollständig geborgen werden, dazu zahlreiche Gebeine. „Dieser Friedhof war uns bislang völlig unbekannt“, sagte Kruse damals. Einige Knochenfragmente wurden dann zur näheren Untersuchung ins Labor gebracht.
Anfang 2011 folgte eine weitere aufsehenerregende Entdeckung: Sie stießen unter der heutigen Antoniuskirche neben dem Dom auf Reste des GuntharDoms aus der Zeit um 825. Gunthar war der erste Bischof von Hildesheim (Amtszeit 815-835) und erbaute die erste Kathedralkirche auf dem Domhügel. Nach der Bistumsgründung hatte es an dieser Stelle zunächst nur eine Marienkapelle gegeben – nachdem Maria durch ein Rosenwunder diesen Ort zur Gründung von Kaiser Ludwigs neuem Bistum bestimmt haben soll. Außerdem wurden Mauern eines Kreuzganges aus karolingischer Zeit gefunden sowie Gräber aus dem 17. bis 19. Jahrhundert entdeckt. Wiederum waren es ca. 40 Tote, die gefunden wurden. „Hier wurden nicht nur Priester bestattet“, war Kruse sicher, „sondern alle Menschen, die damals am Domhof gewohnt haben.“
In den Gräbern, die im Laufe der Zeit gefunden wurden, befanden sich nicht nur die sterblichen Überreste der Toten, sondern auch Reste von Kleidung, Schuhen, Schmuck oder anderen Gegenständen. Besonders bewegend war der Grabfund einer jungen Frau mit einer prachtvollen Kette aus Glasperlen und einem Messer. Um das Jahr 800 hat sie gelebt. Die Archäologen gaben ihr den Namen „Hilde“. Es war eines der wenigen Gräber, in denen die Toten persönliche Gegenstände auf ihre letzte Reise mitbekommen hatten.
Anfänge von Stadt und Bistum liegen auf dem Domhof
Für Professor Dr. Karl Bernhard Kruse erfüllte sich mit den Grabungen ein großer Traum, auch wenn ihm und dem Team zwischen den einzelnen Sanierungsabschnitten immer nur wenig Zeit blieb für ihre Arbeit. Kruse hatte immer die These vertreten, dass unter dem Domhof Hinweise auf die wahre Geschichte von Stadt und Bistum Hildesheim auf ihre Entdeckung warteten. Nun hielt er handfeste Beweise in den Händen, dass das Bistum und das christliche Leben in dieser Region auf dem Domhügel ihren Anfang nahmen.
In die Freude über die Gelegenheit zur Ausgrabung und über die wertvollen Funde und Erkenntnisse, mischte sich auch Wehmut – nicht nur, weil die Zeitfenster für die Archäologen naturgemäß klein waren und viele Funde wieder unter neuem Erdreich verschwanden. Ausgerechnet der Leitstern des Bistums Hildesheim, Bischof Bernward, durchkreuzte die Pläne der Bauleute: An der Ostseite neben dem Joseph-Godehard-Haus fanden die Archäologen Reste der rund 1000 Jahre alten Bernwardmauer. Dass es die Mauer gab, wussten die Fachleute – überraschend waren jedoch der Umfang und der gute Erhaltungszustand des Mauerrings, den Bernward um den Dombezirk ziehen ließ. So ein kostbarer Fund musste natürlich bewahrt werden – er wird in das neue Dommuseum integriert, das im Frühjahr 2015 eröffnet wird.
Fündig wurden die Archäologen nicht nur am Boden beziehungsweise unterhalb des früheren Bodenniveaus, sondern auch an unverhoffter höherer Stelle: Ein gotisches Rosettenfenster kam bei den Umbauarbeiten für das neue Dommuseum zutage. Das Fenster mit perfekten Proportionen stammt aus dem 11. Jahrhundert, als die Laurentiuskapelle erweitert wurde, und weist perfekte Proportionen auf. Durch das Fenster fiel Licht in den Rittersaal über der Kapelle, den die Domherren als Schreibstube nutzten. Unter der Rosette fanden sich Reste eines Altares. Doch bereits im 15. Jahrhundert wurde das Fenster wieder vermauert. Für Kruse war dieser Fund ein weiterer unter den vielen archäologischen Glücksfällen während der Sanierung des Hildesheimer Doms: „Es ist ein einmaliges Zeugnis der gotischen Baukunst an unserem romanischen Dom.“ Die steinerne Rose können die Besucher des Dommuseums in Zukunft ebenso bewundern wie den unermesslichen Schatz an mittelalterlicher, aber auch zeitgenössischer Kunst, den es beherbergt.